Der Tag ist angebrochen. Ein Vagabund erwacht in einer grossen Stadt. Er hat weder Haus noch Arbeit. Verloren inmitten der Menschenmenge fühlt er sich sehr alleine.

An seinem kleinen Schnauz, seinem Rohrstock und seinem Melonenhut erkennen wir ihn sofort: Es ist Charlie. Brr! Der Arme musste draussen in der Kälte schlafen.

Der kleine Mann weiss es noch nicht, aber er wird in Kürze eine Begegnung haben, die sein Leben verändern wird. Gehen wir schnell ein wenig weiter im Film, um mehr darüber zu erfahren. Ach, endlich ein Zwischentitel, der uns sagt, dass Zeit verstrichen ist.

Ja, nun ist es Nachmittag. Charlie bummelt durch die Grossstadt. An einer Strassenecke begegnet er einer blinden Blumenverkäuferin. Sie hält ihn für einen reichen Mann.

Charlie kauft der jungen Frau eine Blume ab, aber er sagt ihr nicht, dass sie sich irrt. Denn er hat sich sogleich in sie verliebt. Logisch, er hat Angst, dass ihn die junge Blinde zurückstossen würde, wenn sie merkt, dass er nur ein armer Vagabund ist.

Der verwirrte Charlie hat seit dieser Begegnung nur noch einen Gedanken: Er möchte genug Geld haben, um der jungen Frau eine Operation zu bezahlen, damit sie wieder sehen kann.

Ach, Charlie hat sein letztes Geld ausgegeben, als er der jungen Frau die Blume abkaufte. Jetzt muss er dringend Geld auftreiben – und zwar viel Geld!

Zum Glück meint es das Schicksal gut mit ihm. Schwer zu glauben, aber wahr! Um mehr zu erfahren, gehen wir ein Stück weiter im Film – bis zu dem Zwischentitel, der uns sagt, dass es jetzt Nacht ist.

Charlie rettet einem Millionär das Leben. Der Mann hat zuviel getrunken und will sich in einen Fluss stürzen. Charlie hindert ihn daran und wird zu seinem besten Freund. Nun denken alle, dass der Millionär Charlie helfen wird.

Aber so einfach ist das nicht! Der dicke Millionär trinkt zuviel. Jedes Mal wenn er Charlie trifft, ist er total betrunken. Der Alkoholmissbrauch hat bei ihm eine seltsame Wirkung: Er wird sehr nett und sehr grosszügig...

Leider hält das nicht an. Wenn er nüchtern ist, kann sich der dicke Millionär dummerweise an gar nichts mehr erinnern. Er erkennt seinen Freund nicht wieder. Einmal denkt er sogar, Charlie sei ein Dieb, und lässt ihn ins Gefängnis werfen.

Stop, hier hören wir auf, denn man sollte das Ende eines Films nicht verraten. Zudem hat die Geschichte einen Haken: Es ist echt schwer zu glauben, dass die junge Frau den armen Charlie für einen reichen Mann hält.

Vergessen wir aber nicht, dass Charles Chaplin, der Erfinder von «Charlie», einer der grössten Filmemacher der Welt war. Er hatte einen genialen Einfall, um uns begreiflich zu machen, weshalb sich die Blinde irrte.

Gehen wir zurück zu dieser wichtigen Szene im Film: Charlie bummelt durch die Grossstadt. Er überquert eine Strasse. Auf der andern Seite versperrt ihm ein parkiertes Auto den Weg.

Ohne Umschweife wählt Charlie den direktesten Weg: nämlich den durch das Auto hindurch! Auf der anderen Seite steigt er aus und schlägt die Tür zu. Die junge Frau hört dieses Geräusch und denkt, dass sie den Besitzer des Autos vor sich hat. Damals war es ein Zeichen von Reichtum, wenn man ein Auto besass.

Es gibt da noch etwas anderes, das eigenartig ist. Charles Chaplin begann mit den Dreharbeiten zu LICHTER DER GROSSTADT im Dezember 1928. Zu dieser Zeit wurde es modern, Tonfilme zu machen.

Aber Chaplin beschloss, LICHTER DER GROSSSTADT wie zu Stummfilmzeiten zu produzieren: Mit Zwischentiteln, die uns helfen, der Geschichte zu folgen. Der Film hat ausser der Musik keine Töne. Etwas wie Ton gibt es dennoch: Um sich über wichtigtuerische Leute lustig zu machen, hat Chaplin Trompetengeräusche benutzt!

Man hört aber keine Türen oder andere Geräusche. Die grossen Regisseure der Stummfilmzeit wussten ganz genau, wie man Bilder macht, die uns den Eindruck von Geräuschen vermitteln – ganz ohne Ton!